Im letzten Artikel ging es um das Thema der ständigen und rollierenden strategischen Arbeit am Unternehmen („Strategiearbeit ist kein einmaliger Akt!“). Wenn dieser Grundsatz verstanden ist, wundert es trotzdem, dass diese strategische Arbeit im Alltäglichen immer wieder untergeht.

Woran liegt das?

Ein Grund dafür ist zumindest in KMUs darin zu suchen, dass der Unternehmer oft drei Rollen gleichzeitig inne hat:

  1. Die Rolle der Fachkraft
  2. Die Rolle des Managers
  3. Die Rolle des Unternehmers

Und nur in der Rolle des Unternehmers findet wirkliche Arbeit an der Vision, der Entwicklung neuer Strategien und auch Träumerei statt. Der Unternehmer lebt und denkt in der Zukunft. Er liebt es „rumzuspinnen“ im Sinne von „Was-wäre-wenn“ und entwickelt daraus tolle Bilder von der Zukunft. Dabei ist er voll in seiner Energie und kann Mitarbeiter anstecken und damit echte Veränderungsprozesse auslösen und entfachen. Zuweilen ist der Unternehmer aber „so weit weg von der Realität“, dass seine Ideen und Träumereien die Mitarbeiter eher nerven als mit voller Motivation zu neuen Taten treibt. Es ist ein schmaler Grat, den der Unternehmer geht. Aber nur auf dieser Ebene entstehen Visionen und Strategien, die tragfähig sind. Und nur, wenn er die Zeit hat für diese Rolle, dann können Strategien immer wieder neu entfacht, angepasst und tatsächlich realisiert werden.

Das Wichtigste am Unternehmer: Er arbeitet AM Unternehmen und nicht IM Unternehmen!

In den anderen beiden Rollen ist der Unternehmer mit ganz anderen Dingen beschäftigt:

Als Manager sorgt er für Planung, Organisation, Strukturen und Prozesse. Denn auch Träume müssen ins Tun überführt werden. Und dafür schafft der Manager zumindest die Rahmenbedingungen. Der Unternehmer sorgt für Fortschritt und der Manager dafür, dass es ein System gibt, in dem es realisiert werden kann. Der Manager lebt im Gegensatz zum Unternehmer eher in der Vergangenheit. Und er sieht eher die Probleme, wohingegen der Unternehmer eher die Chancen im Blick hat. Aber dieses Problembewusstsein hilft, die Dinge zu schärfen und die für die Realisierung der Chancen nötigen Werkzeuge zu etablieren. Dazu gehören dann die Lieblingsspielzeuge des Managers: Organigramme, Prozesse und Strukturen.

Es gibt auch Unternehmer, die noch sehr in der Rolle der Fachkraft zu Hause sind. Neben dem Manager, der für Ordnung sorgt und die Rahmenbedingungen schafft, dem Unternehmer der in der Zukunft Chancen und Visionen erarbeitet, ist die Fachkraft der Macher in der Gegenwart. „Nur was ich selbst gemacht habe, kann auch funktionieren!“, ist sein Credo. Es nervt ihn, dass es Leute gibt, die nur über Dinge nachdenken und sinnieren. Er muss sie machen, sonst existieren sie nicht. Der Fachmann nimmt gerne Dinge auseinander und baut sie dann wieder zusammen. Er muss mit den Dingen arbeiten. Er braucht kein Organigramm und auch keinen Prozess. Er weiß wie es geht und packt an! Ihm ist auch sehr bewusst, dass man nicht an zwei oder noch mehr Dingen gleichzeitig arbeiten kann. Das überlässt er den Träumern. Nur das was gerade ist, das zählt. Und das wird erledigt und klappt dann auch. Das ist der Fachmann! Auf ihn ist Verlass und er ist derjenige, der die Visionen und Strategien wirklich zum Leben erweckt. Auch wenn er es niemals zugeben würde: In seinem tiefsten Inneren weiß er, dass er ohne die Träumereien des Unternehmers und die Strukturen des Managers nicht seine Arbeit verrichten könnte. Aber als Mann der Tat würde es niemals zugeben, dass Träumereien und Prozesse wichtig sind.

Diese drei Rollen wurden erstmalig (soweit mir bekannt) von Michael E. Gerber in seinem Buch „The E-Myth Revisited“ (deutsche Übersetzung „Das Geheimnis erfolgreicher Firmen“) beschrieben. Ich habe seine Variante hier mit meinen Worten und aus meiner Erfahrung wiedergegeben. Gerber sieht den Ursprung dieses „Drei-Rollen-Konfliktes“ vor allem bei Gründern. Bis zu einer gewissen Größe muss der Gründer auch zwangsläufig alle dieser drei Rollen einnehmen. Auch wenn das Unternehmen schon 40-50 Mitarbeiter hat und eine zweite Führungsebene nach dem Gründer existiert, ist es für Gründer immer noch schwer sich von den alten Gewohnheiten der Fachkraft und des Managers frei zu machen für die Tätigkeit als Unternehmer.

Selbst in mittlerweile großen Unternehmen mit mehr als 500 oder 1000 Mitarbeitern konnte ich dieses Phänomen beobachten. Auch wenn der Gründer schon im Beirat sitzt oder eigentlich in Rente ist, so wird er immer noch alle drei Rollen im Unternehmen ausfüllen. Selbst bei Fremdgeschäftsführern, die eine lange Bindung und/oder Historie in einem Familienunternehmen haben, ist dieses Phänomen zu beobachten. Allein bei Vorständen großer Konzerne ist dies leider kaum zu beobachten: Die können nur die Rolle spielen, die Ihnen den größten Bonus verspricht! Und das kann für Unternehmen auf Dauer nicht gesund sein, da dies meistens nur die Manager-Rolle ist, die in der Vergangenheit verharrt und sich auf Strukturen und Prozessen ausruht!

Aber für echte Gründer, Familienunternehmer und voll identifizierte Geschäftsführer ist es hilfreich sich immer wieder die folgenden Fragen zu stellen:

  • „In welcher Rolle bin ich gerade aktiv?“
  • „Passt das zu den aktuellen Herausforderungen des Unternehmens?“
  • „Wie sollte ich meine Zeit aufteilen? Also: Wieviel Zeit sollte ich mir für die Rolle des Unternehmers nehmen, für den Manager und für die Fachkraft? (z.B. auf Wochenbasis)“
  • „Schaffe ich es diese Zeiteinteilung einzuhalten?“
  • „Rutsche ich immer wieder in eine Rolle zurück? Warum ist das so und wie kann ich es ändern?“

Ich wünsche Ihnen viele spannende Erkenntnisse mit diesen Fragen.

Um noch besser zu verstehen, was passiert, wenn junge Unternehmen wachsen und welche Wachstumshürden Unternehmen zwischen Gründung und gehobenem Mittelstand haben, möchte ich darauf beim nächsten Mal eingehen.

Herzliche Grüße und bleiben Sie gespannt

Volker Johanning